Svetlanas Tierheim in Sibirien – ganz weit weg – fast am Ende der Welt……………
Wieder zurück mit einem riesen Koffer an Eindrücken und Emotionen wollen wir Euch heute von unserem Besuch in Sibirien erzählen. Von einem Tierheim, welches die Grösse eines Dorfes hat, mitten im Nirgendwo, in den unendlichen Weiten Sibiriens.
Erschrocken von der Grösse saugt man die Eindrücke auf, während das Auto über den
Feldweg hoppelt, unaufhaltsam Meter für Meter auf die Situation zu, die uns dort erwartet. Auf Tiere und Menschen, die durch Euch existieren und leben dürfen. Es ist Sommer, es ist warm, die Natur ist explodiert und zeigt ihr schönstes Grün – und dann hört man sie durchs offene Fenster, die Begrüssung hunderter Hundestimmen, ein Lärm, der alles übertüncht. Da stehen sie und warten, mit all ihren Hoffnungen und Ängsten. Werden sie die Erwartungen erfüllen können, dürfen sie weiter Hilfe aus Deutschland bekommen oder enttäuscht das, was wir zu sehen bekommen? Sie alle, auf 4 Pfoten und 2 Beinen haben nur dieses Leben in „ihrem“ Dorf, 24 Stunden, 365 Tage im Jahr. Wir durften die leichteren Tage erleben, die mit angenehmen Temperaturen, wie mag es im unwirtlichen, furchtbaren Winter sein? All diese Gedanken finden noch schnell statt, bevor die Autotüre geöffnet wird und da sind sie, umringt von einigen Hunden, die frei laufen und immer mit dabei sind, egal, wohin man geht, Svetlana, Tanja, Aljoscha, Sergej und Tanjas jüngerer Sohn Nicolaj. Schüchtern, neugierig und herzlich – eine Herzlichkeit, wie wir sie hier kaum mehr kennen und erleben. Die erste Frage nach der Begrüssung: Bist du bereit für die Tiere? Es wird sehr laut, hast du Angst? Nein, Angst vor Tieren habe ich bestimmt nicht und die Lärmkulisse der Tierstimmen kenne ich von den nicht mehr zählbaren Besuchen unserer früheren Projekte in Ägypten und der Türkei.
Nun beginnen sie, die ersten Schritte in eine andere Welt. Zwinger über Zwinger mit kleinen Gängen dazwischen, unzählbar, wie ein Labyrinth. Vorwiegend Hundemischlinge aber auch reinrassige Tiere grosser Rassen. Alle gut genährt, in den Gehegen ist Platz zum Laufen und Spielen, 3-5 Tiere bilden ein Rudel. Der gute Zustand der Fellnasen erstaunt mich. Die Hunde kann man in 3 Kategorien einteilen. Die, die dem Menschen ihr Schicksal nicht verzeihen können, sie schicken uns ihre ganze Enttäuschung entgegen. Sie vertrauen nur noch Svetlana und Tanja. Diese Gehege darf noch ein Arbeiter betreten, der das Futter bringt. Trotzdem sind sie untereinander fröhlich. Sie sind dankbar für ein volles Bäuchlein, gute Pflege und wollen nichts Neues mehr. Sie werden ihr Leben im Tierheim verbringen und kaum oder keine Chance auf ein eigenes Körbchen haben. Dann sind da die, die einmal eine Familie hatten, „entsorgt“ wurden und daran verzweifelt sind. Sie liegen stumm oder verstecken sich in den Hütten, sie lassen sich nicht locken, sie haben sich zurückgezogen in ihre eigene Welt, enttäuscht vom Leben, was das Wort Hoffnung bedeutet, haben sie vergessen. Dann leben dort noch die Fellpfötchen, die bei dem Gedanken daran sie zurückgelassen zu haben, die Augen feucht werden lassen und das Herz schwer. Auch sie hatten eine Familie, wurden ausgesetzt oder abgegeben. Diese Hunde haben die unendliche Liebe und Treue zum Menschen bewahrt. Sie springen gegen die Türen und Gitter, wenn man die Gehege betritt, umklammern sie jeden Menschen mit den Pfoten, weinen, schreien, winseln, werfen sich auf den Boden und wollen gestreichelt werden. Sie flehen um ein Zuhause, ein eigenes Bettchen, Zuwendung und Liebe. Diesen Tieren haben wir still und leise ein Versprechen gegeben uns zu bemühen und der weiten Welt zu zeigen, dass es sie gibt. Daria kümmert sich um die Vermittlungen und wir wollen sie dabei unterstützen.
Weiter geht es durch unzählige schmale Gänge der Gehege zum neuen Katzenhaus. Vorbei an Svetlanas ehemaliger Behausung, den kleinen Hütten, in denen Arbeiter wohnen zum neuen Katzenhaus, der Weg in eine andere, neue Welt. Was für ein Bau! Freundlich, gross, geräumig, hell – westlich, wie hier bei uns auch. Dort begrüsst uns die kleine gelähmte Prinzessin, Svetlanas Augenstern. Die Hündin lebt seit Jahren mit ihrem Schicksal im Tierheim und wird von allen geherzt – und – sie weiss genau wie es geht, um Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Alle Erwartungen werden übertroffen, wenn man das Gebäude betritt. Svetlana bewohnt dort seit ihrer schweren Erkrankung im Februar 2018 ein schönes, geräumiges Zimmer. Natürlich zusammen mit Prinzessin, den Welpen und ihrem Methusalem. Ein uralter Rüde (ca 18 Jahre), den sie schon in ihrem winzigen Häuschen hatte, lange, bevor wir sie kennen lernen durften. In seinem Alter schläft er sehr viel und sucht sich immer das weicheste und kuscheligste Bettchen, das er finden kann. Unglaublich, wie viele Tiere schon seit vielen vielen Jahren hier leben, die eisigen Winter überstanden haben und sich benehmen, als wären sie nirgends sonst glücklich und zufrieden.
Es gibt nun eine richtige Toilette und eine wundervolle Duschbadewanne. Da kommt die Frage auf, was haben die Menschen all die Jahre vorher gemacht? Die Antwort erspare ich Euch, wir haben alle genug Phantasie……….
Die Katzen haben ein wundervolles Leben im neuen Haus – soweit man das in einem Tierheim überhaupt sagen kann! Es wurden isolierte Fenster mit richtigen, wärmedämmenden Katzenklappen eingebaut, damit die kleinen Samtpfötchens jeder Zeit in die Aussengehege spazieren können. Alles ist freundlich, hell, grosszügig und kuschelig eingerichtet. So verhalten sich die Fellis auch. Sie wollen schmusen, spielen, schlafen und sind über alle Streicheleinheiten schnurrend dankbar. Ganz nebenbei erzählt Svetlana dann die Sensation überhaupt. Alle Gebäude im Tierheim sind jetzt mit unseren Heizungen verbunden. Der Bagger war da, hat die Rohre gut isoliert unterirdisch verlegt. Es gibt keinen einzigen Lehmofen mehr, die so brandgefährdet waren. Da geht das Herz auf wenn man sieht, dass jeder einzelne Cent der Spendengelder doppelt gedreht wird, um ein Maximum an Positivem zu schaffen. Im Eck stehen 2 Kartons, die wir geschickt hatten. Ich dachte, sie wären noch nicht ausgepackt und fragte danach. Die Antwort treibt mir Schamesröte ins Gesicht. Darin ist Svetlanas ganzer Besitz untergebracht. Die Pakete werden immer sofort ausgepackt und verteilt, uns bleibt nur die Gewissheit, dass sie Hilfe bringen und ein Lächeln in die Gesichter zaubern, wenn sich etwas für die Zweibeiner darin verirrt hat.
Im Krankenzimmer liegt liebevoll und weich gebettet die ältere Hündin, die von einem kleinen Rudel auf der Strasse angefallen und so furchtbar zugerichtet wurde, dass ihre linken Vorderpfote amputiert werden musste. Das rechte Pfoti wurde zusammen geflickt und muss nun täglich mehrmals versorgt und verbunden werden. Tanja ist ein Goldschatz, sie hat ein wundervolles Händchen und Gespür für die Tiere und kümmert sich trotz allem Stress aufopferungsvoll um die Süsse.
Tanja kennt die Geschichte jedes einzelnen Tieres. Sie weiss, ob die Tiere kastriert sind, wie lange sie im Tierheim sind, ob sie abgegeben wurden oder von der Strasse kamen. Ob sie als Welpen hier gelandet sind, welche Vorlieben sie haben, wie der Charakter ist. Unglaublich, was diese Frau alles an Wissen mit sich trägt. Sie ist die rechte Hand unserer Svetlana, ohne sie wäre sicherlich vieles anders. Sie ist aber auch seit vielen vielen Jahren mit dabei und durfte von Svetlana lernen. Unser ganzer Trost, sollte Svetlana aufgrund ihres Alters nicht mehr alles selbst bewerkstelligen können.
Rund um das Katzenhaus entstehen – soweit es die Spendengelder erlauben – neue Zwinger, stabil und für die Zukunft gebaut. Von den Spenden konnte ein Schweissgerät, ein Dampfstrahler und ein Erdbohrer angeschafft werden. Sergej ist ein Künstler beim Zwingerbau. Leider ist die Stromzuleitung so schwach, dass die Sicherungen fliegen, wenn ausser dem Schweissgerät zusätzlich eine Stromquelle benützt wird. Wir haben zugesagt, eine stärkere Leitung zu finanzieren, sie wird diese Woche gelegt. Die Kosten hierfür betragen umgerechnet ca 800€.
Weiter geht der lange und aufregende Marsch Richtung Hundehaus. Der Estrich ist fast fertig, die Heizkörper im Ergeschoss hängen, die für den 1. Stock liegen noch verpackt auf der Treppe nach oben. Im 1. Stock sind mechanische Lüftungen für jeden Zwinger an den Aussenwänden, in der Mitte des Ganges ist die Decke bereits fertig verkleidet und eine tolle, grosse Ent- und Belüftungsanlage eingebaut, damit nichts schimmeln kann oder stockt. Hier muss man wirklich zugeben, ein Bauherr, der mitdenkt und umsetzt. Spätestens jetzt haben mir wirklich alle meine Enttäuschung angesehen. Die Spenden für das Haus sind längst in Sibirien, letztes Jahr hatten wir angefangen zu bauen und nun ist es noch nicht fertig gestellt. Ich brauchte gar nicht zu fragen, in diesem Moment kam der Chef der Baufirma mit seinen Arbeitern. Zuerst wurde mit Svetlana geklärt, wie hoch die Fliesen an den Wänden sein sollten. Eine Rinne in der Mitte der Böden im Erdgeschoss und 1. Stock wurde nach unseren Anregungen eingebaut, damit die Zwinger dort mit dem Dampfstrahler gereinigt werden können. Auf meine Frage, wann das Haus denn nun endlich fertig gestellt würde weil der nächste Winter schon an die Türe klopft, bekam ich die Antwort des Firmenchefs nun persönlich. Vorab für Euch, liebe Spender: Es ist Russland und die Bedingungen sind völlig anders als bei uns. Auch wir lernen stetig nach 7 Jahren Hilfe vor Ort dazu. Mir wurde mit ernstem Gesicht erklärt, dass es in diesem Land jährlich nur 4-5 Monate möglich ist, Materialien zu bearbeiten und Bauarbeiten zu leisten. Es gibt nicht nur unser Haus, sondern viele andere Aufträge, bei denen es ebenfalls um den Schutz vor der eisigen Kälte geht. Hausdächer, die ausgebessert werden müssen, Rohbauten, die fertig gestellt werden sollen usw. usf. Nachdem unser Haus soweit fertig ist, werden bei gutem Wetter die Aussenarbeiten auf anderen Baustellen gemacht. Wenn das Wetter schlecht ist, geht unser Innenausbau weiter. Egal, was man hier an finanziellen Mitteln bieten würde, es interessiert niemanden. So stossen wir frustriert an unsere Grenzen. Svetlana achtet wie ein Habicht darauf, wann die Arbeiter kommen, wie lange sie bleiben und was sie in dieser Zeit geschafft haben. Danach wird abgerechnet. In einem Buch hat sie alles notiert, der Chef unterschreibt und bekommt dann seine Rubel in die Hand gedrückt. Hier gibt es keine Vorauszahlung oder Rechnungsstellung für den gesamten Bau, die dann Stück für Stück bezahlt wird. Täte man dies, würde man wohl die Firma so schnell nicht wieder sehen. Welche Last auf Svetlanas Schultern liegt, an was sie alles denken muss, wir alle haben keine Vorstellung davon.
Den Kopf voller neuer Gedanken und Probleme bahnen wir uns den Weg durch die kleine Ziegenherde Richtung altem Katzenhaus. Es wird als Katzenquarantäne für Neuzugänge benutzt bis sicher ist, dass die Tiere keine Krankheiten einschleppen können. Das Ozongerät ist prima für das Desinfizieren der Häuser. Hier sitzen viele Neuzugänge. Unter anderem 6 Katzen einer älteren Dame, die nicht mehr für sich und die Tiere sorgen konnte. Sie wurde von ihrer Schwester aufgenommen, die selbst unzählige Katzen hat. Somit kamen die Tiere zu Svetlana. Eine liebe rot-weisse Miau hatte eine derart schlimme Gingivostomatitis, die so weit fortgeschritten war, dass unsere Tierärztin das arme Felli nur noch einschläfern konnte. Svetlana mag oftmals verzweifeln an den Tieren, die aus solchen Haltungen kommen. Schwere, schmerzhafte Krankheiten sind keine Seltenheit bei den Tieren, die (vielleicht auch gerade deshalb) abgegeben werden. Unsere Tierarztrechnungen sind gleichbleibend hoch, dennoch sind wir glücklich, dass leidende Tiere versorgt werden und die Neuzugänge kastriert werden können und müssen! Die Impfstoffe sind bestellt, die Kastrationen haben Dank Eurer Spenden wieder begonnen und werden bis zum grossen Kälteeinbruch fortgeführt. Die erste Portion Wurmtabletten sind verabreicht, in 2-4 Wochen wird noch einmal entwurmt bevor der Umzug in die beheizten Häuser los geht und der jährliche Überlebenskampf erneut startet.
Wir gehen vorbei an den Gehegen, bleiben vor jedem stehen, erfahren die Schicksale der Pfoten, die uns begrüssen und versuchen oftmals den dicken Kloß im Hals hinunter zu schlucken, es gelingt nicht wirklich.
Wir kommen vorbei an der Freiluftküche, die in Betrieb ist seitdem wir frühmorgens angekommen sind. Nun war das Lager voll mit Trockenfutter. Hier werden Haferflocken, Fleischreste (Spenden der nahen Fleischfabrik), Sonnenblumenöl und Graupen gekocht von morgens 8h bis abends 19h. Erst dann haben alle ihre Portion bekommen. Natürlich liegt auch hier die Frage auf der Hand, warum gekocht wird, wenn es Trockenfutter gibt. Wir kaufen es für 80 Cent das kg. Die Antwort ist ernüchternd. 1000kg Trockenfutter würden gerade für 3 Tage genügen bei so vielen Tieren. Das können wir an Spendengeldern nie bewerkstelligen Monat für Monat. Das Kochen ist wesentlich günstiger. Jeder Napf bekommt täglich ein Händchen voll Trockenfutter mit dazu. Die Welpen erhalten selbstverständlich Welpenfutter, die Katzen Trockenfutter und wenn es nicht zu knapp ist, auch 2x wöchentlich Dosenfutter. Es ist für uns bemerkenswert, dass alle Tiere wunderschöne weisse Zähnchen haben, gut genährt und bewegungsfreudig sind. In der Not hat Svetlana hier eine nachweislich gute Lösung gefunden, die auch in den mageren Monaten kaum Futterprobleme aufkommen lässt.
Julia & Roman helfen trotz stolzer Elternfreuden mit Baby Kira weiterhin fleissig mit. Julia hatte viel telefoniert und einen Backwarenhersteller gefunden, der altes Brot und Semmeln zu einem sehr günstigen Preis in Abständen ins Tierheim liefert. Wenn es ganz hart kommt, wird auch das mit verkocht.
Die Sonne geht langsam unter, alle versammeln sich für eine Tasse Tee vor dem Tierheim. Die Aushilfskräfte bekommen ihren Tagessold und gehen nach Hause. Ein Auto fährt die Bahngleise entlang, ein Fenster wird geöffnet, vor unseren Augen werden Welpen wie Müll aus dem fahrenden Wagen geworfen. Es wäre nichts dabei gewesen, 10 Meter weiter zu fahren, anzuhalten und uns die Hundekinder in die Hand zu drücken. Zorn, Wut und Schockstarre lassen uns inne halten während die Jungs schon los laufen, um die Tierchen einzufangen. Svetlana und Tanja begutachten sie um sicher zu sein, dass nichts gebrochen ist. Dann ziehen die neuen Bewohner in die kleine Welpenquarantäne während wir immer noch fassungslos auf den Weg starren, auf welchem das Auto davon brauste. Alltag in Abakan, nichts Aussergewöhnliches mehr für Svetlana und ihr Team. Sie sagt nur resignierend: Besser so, als im Straßengraben irgendwo und dann werden sie überfahren. So war es all die Jahre früher, als das Tierheim noch nicht bekannt war.
Wir hängen betreten unseren Gedanken nach, niemand spricht. Den ganzen Tag ist Gebell und Lärm im Tierheim. Entweder kommt ein Auto, wir gehen durch die Gehege, ein Tier wird abgegeben, die Tierärztin schaut vorbei, Aushilfsarbeiter stellen sich vor. Nichts davon passiert in diesem Moment, trotzdem fangen alle Hunde an zu bellen. Dieses Bellen wird zu einem Jaulen, wie wir es von Wölfen kennen. Es dauert ungefähr 5 Minuten, dann ist nur noch Stille. Gänsehaut, feuchte Augen und Herzklopfen. Svetlana erklärt, dass die Tiere den Tag verabschieden, den sie geschafft haben, sie haben überlebt, kein Unheil ist ihnen passiert. Nun begeben sich alle zur Ruhe. Diesen Augenblick vergesse ich nie mehr!
Wir fahren zurück nach Abakan, um in der Tierklinik die riesige Menge Wurmtabletten zu bestellen für den 2. Durchgang. Drontal ist dort relativ günstig für unsere Verhältnisse zu bekommen. Bei Milbemax sieht die Geschichte ganz anders aus. Bei den Preisen bleibt mir die Luft weg. Zur Klinik gehört auch eine Art PetShop, hier wird auch Futter von Hills verkauft. Wer denkt, unsere Tierärzte in Deutschland wären teuer, der war noch nie in Russland. Unvorstellbar, ein normal arbeitender Mensch könnte sich ein 2kg-Säckchen Katzenfutter nie leisten. Von einem Tierheim wie dem unsrigen wollen wir gar nicht sprechen. Die Ernüchterung stellt sich mehr und mehr ein, ebenso die Angst vor der Zukunft. Was passiert, wenn uns die Spender im Stich lassen? Was geschieht, wenn die Tierarztkosten noch mehr ansteigen? All diese Fragen legen sich wie eine kalte Hand um mein Herz in diesem Moment. Die Tür geht auf, eine Dame betritt die Klinik. Sie fragt nach reinrassigen Pudelwelpen. Mir schwillt der Kamm, der Zorn ist mir wohl im Gesicht anzusehen. Die Klinikmitarbeiterinnen kennen niemanden, der Pudelwelpen anzubieten hätte. Auch das ist Alltag in Sibirien. Die Menschen, die es sich leisten können, wollen ausschließlich Rassetiere. Wenn sie nicht mehr gewollt sind, landen sie bei Svetlana wie der Nackthund im Februar oder unsere kleine Nacktkatze jetzt im Juli. Völlig überzüchtete Tiere ohne Fell in einem Land, in dem die Menschen den Winter kaum überleben? Diese Welt ist verrückt, man mag verzweifeln daran!
Raus aus der Klinik, hinein in den Supermarkt. Wasservorräte kaufen für die nächsten Tage. Die Regale dort sind gut gefüllt mit Waren vor allem aus China. Das Embargo ist überall zu spüren. Gedankenlos packt man Mineralwasser und Saft in den Korb um an der Kasse die nächste kalte Ohrfeige zu erhalten. Ich musste 2x fragen, ob die Summe stimmen kann! Preise, wie bei uns und teurer. Importware! Wie soll man hier seinen Lebensunterhalt bestreiten können bei einem durchschnittlichen Verdienst von ca 400,- €? Wie soll man da noch etwas für Tiere übrig haben, wenn man zur normalen Bevölkerung gehört? Warum hatte uns Svetlana nie etwas davon erzählt? Es sind herzliche, offene aber auch stolze Menschen die in diesem Land leben. Hier wird geerntet, was die Gärten her geben. Obst wird eingeweckt und das Wasser vom Einkochen in Flaschen abgefüllt als Saftersatz für den Winter. Essen gehen bedeutet hier, Kartoffelpüree mit Kraut oder Gemüse und es schmeckt ganz prima. Ich werde immer stiller und demütiger. Alleine der Gedanke, welche Sorgen und Nöte uns in Deutschland, Österreich oder der Schweiz plagen, wird hier völlig auf den Kopf gestellt. Bedenkt man nun noch die tödlichen Temperaturen des Winters, bei denen man ohne Mundschutz nicht mehr atmen kann, schätzt man erst, was unser Zuhause bedeutet. Ich habe die ganze Welt gesehen in meinem Leben aber kein Land ist vergleichbar mit Sibirien, den Menschen, die es tapfer ertragen, der Natur, die jährlich kämpft und nie aufgibt und den Fellnasen, die uns hilflos ausgeliefert sind. Sie haben nur uns, was für eine Bürde, welche Verantwortung. All das wird in den Momenten bewusst, in denen man alleine mit dem Erlebten und seinen Gedanken ist. Dies sind wirklich Augenblicke der völligen Hilflosigkeit, des Ausgeliefert seins.
Eine neue, tierliebe Supermarktleiterin lässt täglich die Waren, die sich nicht mehr verkaufen lassen, ins Tierheim bringen für die Hunde und Ziegen. Es wechselt täglich, was sich in den Kartons befindet. Obst, Gemüse, Gebäck, auch manchmal Milch oder Joghurt. Wenn das Auto kommt, gehen alle freudig gucken. Obst wird gegessen, Kekse probiert. Manchmal sind sogar Fisch oder Hähnchenreste dabei. Ich hatte gefragt, warum wir nicht einfach los fahren und Obst für die Menschen im Tierheim kaufen. Bei den Preisen im Supermarkt hatte sich meine Frage erübrigt. Wir können das tun, wenn wir vor Ort sind, wir sind es gewohnt von daheim. Niemand aus dem Tierheim könnte wohl verstehen, in welch einer Überfluss- und Wohlstandsgesellschaft wir uns befinden. Wenn ich meine Hunde jetzt beobachte, ihr Fordern nach Liebe, Leckerchen, das Belegen der Couch, die Selbstverständlichkeit, sich im Bett breit zu machen, meine Verabschiedung wenn ich nur schnell das Haus verlasse und mein schlechtes Gewissen, ihnen zu wenig Zeit zu geben weil der Tierschutz gerade fordert, dann gehen meine Gedanken wieder ganz weit weg, dort hin, fast ans Ende der Welt, zu denen, die solche Annehmlichkeiten nie gekannt haben und wohl auch nie kennen lernen dürfen. Wie reich wir doch sind, ohne Lottogewinn und Rücklagen auf dem Konto. Sicher ist, dass ich das Leben jetzt mit anderen Augen betrachte.
Nun ist ein kleiner Roman entstanden, ich hoffe, Ihr habt die Zeit, ihn zu lesen. Vielleicht habe ich es geschafft, Euch ein kleines Stück dieser Welt näher zu bringen. Euch zu zeigen, wohin Eure Spenden fließen, was sie Gutes tun, wie viel sie helfen, was schon Hervorragendes nur durch Eure Hilfe geschafft wurde und wohin der lange Weg noch geht.
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass Ihr den Unterhalt, die vollen Bäuchlein, die Tierarztkosten tragt. Es konnten Heizungen installiert werden, das Tierheim hat Strom und fliessend Wasser, ein Schweissgerät, einen Dampfstrahler, einen Erdbohrer, ein Katzenhaus, ein Hundehaus und neue Gehege, die wirklich schön sind. Es gibt das „Wellnessgelände“ mit Badegelegenheit für den Sommer, in dem die Rudel nacheinander einige Stunden verbringen dürfen. IHR seid toll, IHR seid die Hoffnung für Mensch und Tier. Es ist unbeschreiblich, was Ihr durch Euer Vertrauen und Eure Hilfe geleistet habt. Wir haben den Beweis mit eigenen Augen gesehen, die Fotos werden Euch hoffentlich überzeugen.
Unsere dringenden Pläne für die nahe Zukunft sind eine gemauerte Welpenklappe. In dem bestehenden Holzverschlag überstehen sie keine eisige Winternacht. Die 2. Stromleitung/-Erweiterung für mehr Kapazität. 2 fehlende Heizungen um die Häuser des gesamten Geländes zu versorgen und nicht nur „lauwarm“ werden zu lassen. Neue, stabile Metallzwinger, die die maroden Holzteile ersetzen, die jedes Frühjahr Unsummen an Reparaturarbeiten kosten, Kohlelieferungen für den bald beginnenden Winter sowie die kontinuierlichen Futter- bzw. Tierarztkosten bezahlen zu können.
Meinen herzlichen Dank an Daria, die permanent an meiner Seite war, übersetzen und erklären musste. Die tapfer alle Fragen ertragen hat, nie den Humor verlor, wenn meine Emotionen auf dem Tief- oder Höhepunkt waren (und das waren sie oft!). Ein ebenso inniges Danke an Julia & Roman, die uns 365 Tage im Jahr in englischer Sprache zur Seite stehen und uns einen so herzlichen Empfang bereitet haben. Meinen aufrichtigen Dank und meine innig empfundene Freundschaft zu Svetlana, Tanja, den seit vielen Jahren dort arbeitenden Jungs im Tierheim, die immer zuletzt an sich denken (wenn überhaupt) und eine Arbeit leisten, die für uns unvorstellbar ist. Jeder Tierschutzverein darf sich glücklich schätzen, so ein Projekt betreuen zu dürfen. Danke für viele wertvolle Menschen, die ich kennen lernen durfte! Unvergessen ist jede einzelne Fellnase, der ich begegnet bin. Sie haben all unsere Kraft und unseren Einsatz verdient, um sie zu kämpfen, um ihr Leben zu sichern.
Eure gerade sehr emotionale
Birgitta
Quelle: Bluemoon und Pfötchenfreunde