Bitte lass uns einfach sitzen

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Mein Name ist Mo, diesen Namen gaben mir Menschen. Auch wenn sie wirklich nett sind und mir helfen wollen, bin ich schrecklich unglücklich und mir geht es nicht gut. Deshalb möchte Euch meine Geschichte erzählen, denn mein Schicksal betrifft jedes Jahr hunderte von kleinen Feldhasen und andere wilde Tierkinder und viele davon überleben nicht.

An einem kalten Abend im Februar hat meine Mama mich und 4 meiner Geschwister auf einem Feld geboren. Sie legte uns einzeln in kleinen Mulden auf dem Acker ab, sogenannte Sassen. Ja, ich war allein, aber ich habe mich nicht einsam gefühlt, dieses Gefühl kannte ich nicht, denn mein Instinkt sagte mir alles ist ok. Meine Geschwister liegen in ihren eigenen Sassen etwas entfernt von mir. Das ist gut so, denn sollte ein Fressfeind einen von uns finden, so sind die Anderen noch sicher vor ihm.
Mir war auch nicht kalt, denn ich werde nicht nur mit offenen Augen sondern auch mit dichtem Fell geboren. Eigentlich sehe ich aus wie die Miniversion meiner Mama. Ach ja meine Mama, sie kommt nur 2 mal am Tag, meist in der Dämmerung zu mir, um mich zu säugen. Ihre Muttermilch ist so gehaltvoll, dass ich davon trotzdem satt werde und ganz schnell wachse.
Es ging mir wirklich gut, ich träumte von grünen Wiesen und von meiner Mama.
Dann hörte ich komische Geräusche, Stimmen von Menschen und sie kamen immer näher. Ich hatte keine Angst, denn ich habe keinen Eigengeruch und auch noch keinen Fluchtreflex. Bei Gefahr ducke ich mich einfach tiefer in die Sasse und das tat ich also.
Was dann passierte? Ich weiß es nicht, wahrscheinlich müssen sie schon fast über mich gestolpert sein, denn sie fanden mich. Sie fassten mich an, jetzt hatte ich doch große Angst, nein ich wollte nicht hochgenommen und gestreichelt werden. Ganz starr saß ich auf ihrer Hand.
Ich hörte sie reden, ich wäre so süß, so allein, so hilflos und sie nahmen mich mit. Ich wollte schreien, nein bitte nicht, bitte lasst mich in der Natur, hier gehöre ich hin, meine Mama wird mich suchen.
Sie verstanden es nicht und so saß ich bald in einer dunklen Kiste und bin nach einer gefühlten Ewigkeit dort gelandet, wo ich jetzt bin, in einer Pflegestelle.

Es geht mir nicht gut. Ich habe schreckliche Angst, ich möchte auch nicht trinken, die Milch schmeckt mir nicht, die Hand mit der Flasche riecht nicht nach Mama. Ich vermisse meine Mama nun doch, ganz schrecklich.
Irgendwann habe ich so großen Hunger und trinke. Aber von dieser Milch bekomme ich Bauchschmerzen, ich möchte nicht mehr hier sein aber ich muss. Ich fühle mich nicht gut, gar nicht gut.
Die Frau in der Pflegestelle versteht mich, sagt sie, es tut ihr leid, dass ich nun bei ihr sein muss. Sie erzählt mir, dass so viele wilde Tierkinder einfach aus der Natur genommen werden und dass es falsch ist. Das die Leute uns einfach sitzen lassen sollen und im Zweifelsfall vor der Entnahme eine Wildtierstation kontaktieren sollen. Sie erzählt mir auch, dass es strafbar ist, mich mitzunehmen. Ich weiß nicht, was jagdbares Wild ist, aber ich gehöre wohl dazu und wenn mich wirklich jemand mitnehmen müsste, beispielsweise wenn ich verletzt wäre, dann muss erst der Jagdpächter gefragt werden. Das ist gut so, denn er kann gut einschätzen, ob ich wirklich menschliche Hilfe brauche.

Ich höre ihr zu und werde ruhiger. Mein Bauch schmerzt, ich bin furchtbar traurig und so müde. Meine Mama und meine Geschwister werde ich wohl nie wieder sehen. Langsam fallen mir die Augen zu, so gern wäre ich als großer Hase über Felder gelaufen, hätte an zarten Pflanzen geknabbert, den Wind gespürt.
Ich geh nun für immer von dieser Erde, ich weiß ihr habt es ja nur gut gemeint….
Bitte lass die Tierkinder sitzen, fasst sie nicht an, egal ob Hase, Rehkitz oder Vogelästling. Fragt im Zweifelsfall bei kompetenten Stellen nach.

© Jana v. Wildepflegekinder

Ich weiß, es ist viel Text aber sooo wichtig!

 

 

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